Im Jahr 1986 bin ich in der marokkanischen Stadt Tétouan geboren, in der ich auch meine ersten Lebensjahre verbrachte. Im Alter von drei Jahren stand mein bisher größter Umzug an: Es ging für mich in die 2579,5 Kilometer weit entfernte Stadt Lüdenscheid im nordrhein-westfälischen Sauerland.
Dass ich heute Entwicklungspolitikerin bin, ist mit Blick auf meine Kindheit gar nicht so verwunderlich. Denn der Einsatz für soziale Gerechtigkeit – sowohl in Deutschland als auch international – wurde mir vielleicht sogar in die Wiege gelegt. Als Kind eines sauerländischen Dachdeckers und einer marokkanischen Schneiderin habe ich schnell gemerkt, dass mein politische Arbeit nicht an Grenzen Halt macht.
Heutzutage ist der Spagat zwischen lokaler, nationaler und internationaler Interessensvertretung als die erste in Marokko geborene Bundestagsabgeordnete fester Bestandteil meines Arbeitsalltags und ich schätze diese Aufgabe sehr!
„Und jetzt kannst du's mir ja sagen,
nur damit ich's weiss:
gibt es irgendwelche Nazis
in deinem Bekanntenkreis?“
Diese Strophe aus dem Song »Madeleine (aus Lüdenscheid)« der Toten Hosen hörte ich in meiner Jugend rauf und runter. Nicht nur wegen der Musik an sich, sondern insbesondere deswegen, weil ich mich mit dem Liedtext sehr gut identifizieren konnte. Denn die Nachfrage nach Nazis im Bekanntenkreis war auf dem sauerländischen Land leider nicht unberechtigt. So ist es auch nicht verwunderlich, dass meine Jugend als junges, migrantisches Mädchen von politischen Herausforderungen und sogar Bedrohungen geprägt war.
Für mich Grund genug, politisch aktiv zu werden und so kam ich zu dem Jugendverband der SPD - die Jusos. Mich verband damals aber noch mehr mit der Sozialdemokratie als „nur“ meine Herkunft und die Diskriminierungen, die das mit sich zog. Chancengleichheit war für mich mehr als ein theoretisches Konstrukt. Denn als Tochter einer alleinerziehenden Mutter hatte ich als Kind nicht immer die finanzielle Sicherheit, die ich heute habe. Als ich beispielsweise Schwierigkeiten in Mathe bekam, musste meine Mutter, eine gelernte Schneiderin, einen Nebenjob als Putzfrau annehmen, um meinen Nachhilfeunterricht bezahlen zu können. Dank der unermüdlichen Unterstützung meiner Mutter konnte ich mein Abitur an der Gesamtschule machen und bin heute in einer privilegierteren Situation.
Ich begann mein Jurastudium zunächst in Marburg, denn für NRW reichte meine Abschlussnote nicht. Dort hieß es für mich: Zähne zusammenbeißen, bis ich nach abgeschlossenem Grundstudium wieder zurück nach Nordrhein-Westfalen ziehen konnte. Diesmal endlich in meine langersehnte Wunschheimat: Köln! Das Gefühl von Heimat hatte ich das erste Mal im Zug, im RE7 , als dieser über die Hohenzollernbrücke über den Rhein am Kölner Hauptbahnhof einfuhr. Der Blick auf den Kölner Dom und ich wusste: hier bin ich zu Hause. Hier bin ich angekommen, um endlich auch politisch aktiv zu werden, ich trat offiziell in die SPD ein und wurde zu einem festen Bestandteil in meinem Ortsverein. Von der Beisitzerin im Ortsvereins- und Stadtbezirksvorstand, über die Jusos und den SPD-Frauen, ich hatte die Partei intensiv kennengelernt. Leider ließ mir das Studium nicht mehr viel Zeit für Partei und Ehrenamt. Um mein Studium und Leben in Köln zu ermöglichen, musste ich viel arbeiten - morgens um 5 Uhr in der Backstube oder abends bis 5Uhr hinter der Theke. Nach dem Studium arbeitete ich in einer Kölner Wirtschaftskanzlei, doch die große berufliche Erfüllung blieb aus. Die fand ich bei der GIZ, der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit in Bonn. Ich begann eine Stelle als Projektmanagerin Controlling in einem Projekt für nachhaltige Textillieferketten. Die Perspektive einer Schneiderin aus dem Globalen Süden war mir bekanntlich nicht fremd. Mit dem Projekt konnten wir beispielsweise dazu beitragen, dass sich die Arbeitsbedingungen von Arbeiter:innen in der Textilindustrie nachweislich verbessert haben und Kleidung umweltfreundlicher produziert wird.
Mit der Zeit wurde mir bewusst, was mich politisch antreibt und wo ich meinen politischen Anliegen am besten eine Stimme verleihen kann: In der Politik!
So kandidierte ich 2020 für den Kölner Stadtrat. Trotz beachtlichem Ergebnis habe ich in meinem Wahlkreis bei der damaligen Kommunalwahl leider nicht gewonnen, aber einen leidenschaftlichen Wahlkampf geführt und dadurch am Ende vielleicht sogar mehr gewonnen.
Aber Aufgeben ist nicht, deswegen versuchte ich es im Jahr darauf bei der Bundestagswahl erneut. Die Wahlkampfzeit im Sommer 2021 war eine überwältigende Zeit. Im ganzen Land gingen Jusos auf die Straßen. Es wurde für progressive und linke Politik geworben und mit dazu für die passenden jungen Gesichter. Eins davon war meins. Mit vielen Kölner Jusos, die wöchentlich mit mir, einem Bollerwagen, Flyern mit dem Aufdruck „Klima.Global.Sozial“ und einer Kiste Kölsch durch die Straßen zogen konnte ich euch, die Menschen in meinem Wahlkreis, von mir und der sozialen Gerechtigkeit überzeugen.
Am 26. September 2021 war es dann so weit: Der 20. Deutsche Bundestag wurde gewählt. Und feststand: Ich werde Teil dessen sein.
Jetzt bin ich seit ein paar Jahren Mitglied des Deutschen Bundestages. Der Dreiklang - „Sozial. Klima. Global.“ - mit dem mir die Wähler:innen aus meinem Wahlkreis Ihr Vertrauen geschenkt haben, leitet heute noch meine politischen Entscheidungen in Köln und Berlin.